Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie, Psychiatrie, und psychologischer Beratung


Kommt das häufig vor?

Sexuelle Übergriffe in psychologischer Beratung, Psychotherapie und Psychiatrie kommen leider vor. Allerdings: Die meisten Therapien verlaufen nach anerkannten wissenschaftlichen und praktisch überprüften Prinzipien und Regeln. Für Menschen, die in eine seelische Notlage geraten oder psychosomatisch erkrankt sind, sind psychologische Beratung und Psychotherapie eine wichtige Hilfe. Dennoch gibt es einige psychologische Berater/-innen, Psychiater/-innen und Psychotherapeuten/-innen, die die Regeln missachten und ihre Position zur Befriedigung eigener Bedürfnisse ausnutzen.

Nach einer Schätzung des Instituts für Psychotraumatologie Freiburg/Köln, welche die neuesten nationalen und internationalen Forschungsergebnisse berücksichtigt, muss in der Bundesrepublik Deutschland jährlich mit mindestens 300 bis 600 Übergriffen gerechnet werden. Das statistische Risiko liegt nach dieser Minimalschätzung weit unter einem Prozent. Sie sollten sich deshalb also in keinem Falle davon abhalten lassen, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Folgen sexueller Übergriffe sind andererseits für die Patientinnen und Patienten so schwerwiegend, dass es wichtig ist, sich über das Thema genau zu informieren.

Für Frauen ist das Risiko, Opfer sexueller Übergriffe vonseiten eines Therapeuten (oder seltener auch einer Therapeutin) zu werden, wie bei anderen sexuellen Gewaltdelikten auch, erheblich höher als für Männer, insbesondere wenn sie bereits früher sexuelle Gewalt erfahren haben.

Männer als Ratsuchende oder Patienten sind weniger häufig betroffen. Es fällt ihnen aber anscheinend auch schwerer, sich als „Opfer“ eines Übergriffs zu verstehen und sich zu melden oder Hilfe zu holen. Allerdings sind Männer dann mit betroffen, wenn ihre Freundinnen, Frauen oder Töchter zu Opfern eines solchen Vorfalls werden. Darunter leiden auch die Familienangehörigen und andere nahe stehenden Personen.


Besonderheiten der therapeutischen Beziehung

Psychotherapien, psychiatrische oder psychologische Beratungen schaffen eine ungewöhnliche Situation. Patienten/Patientinnen sprechen hier zum ersten Mal über Dinge, die sie lange, manchmal fast lebenslang, mit sich herumgetragen haben. Dadurch entsteht ein Machtgefälle zwischen Therapeut/-in und Patient/-in. Deshalb trägt der/die Therapeut/-in eine besondere Verantwortung für den Schutz der Patienten/-innen. Das ist für den Erfolg einer Psychotherapie sogar eine notwendige Voraussetzung. So können Gefühle aufkommen wie zu einer sehr vertrauten Person. Die Behandelnden gehen respektvoll darauf ein, sie erwidern sie aber nicht etwa wie Freunde, da die psychotherapeutische Beziehung nicht vermischt werden darf. Die Behandelnden haben in der Ausbildung gelernt, diesen Unterschied stets zu berücksichtigen. Daher ist es möglich, ihnen gegenüber Liebesgefühle, sexuelle Wünsche und Fantasien zu äußern. Die Psychotherapie ist ein geschützter Raum, in dem alles besprochen werden kann, ohne dass es als Anbahnung persönlicher Beziehungen missverstanden wird. Ebenso wie Liebe darf hier Kritik an den Behandelnden, sogar Hass auf sie ohne Angst vor negativen Konsequenzen geäußert werden. Diese Gefühle können in Psychotherapien manchmal so heftig sein, wie viele Patientinnen und Patienten dies seit ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht mehr erlebt haben. Therapeuten und Therapeutinnen wissen, dass diese Empfindungen und Wünsche in früheren Erfahrungen und Problemen begründet sein können, die im Verlauf der Therapie wieder erlebt werden und infolgedessen ihnen nicht als Privatperson, sondern ihrer therapeutischen Rolle gelten. In manchen Phasen einer Psychotherapie können Patientinnen und Patienten durchaus den Wunsch haben, eine private, vielleicht sogar sexuelle Beziehung zum Therapeuten oder zur Therapeutin aufzunehmen. Es ist die Pflicht der Behandelnden, den Rahmen der Behandlung aufrechtzuerhalten und die Distanz zu wahren. Psychisch belastete, inkompetente oder verantwortungslose Therapeuten bzw. Therapeutinnen können auf solche Wünsche allerdings ausnutzend eingehen, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Sie missbrauchen damit ihren beruflich bedingten Einfluss.



Dürfen sexuelle Kontakte möglicher Bestandteil einer Therapie sein?


Nein
Keines der wissenschaftlich überprüften Psychotherapieverfahren, kein anerkanntes psychiatrisches oder psychologisches Beratungskonzept schließt sexuelle Kontakte ein. Im Gegenteil: Im Arztrecht und in den Ethikrichtlinien aller anerkannten Therapieeinrichtungen werden sexuelle Beziehungen zu Patientinnen oder Patienten eindeutig verboten. Das gilt auch für den Zeitraum nach der Therapie. Seriöse Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen wissen, dass sexuelle Kontakte zu Patientinnen und Patienten mit einer hilfreichen Therapie unvereinbar sind und zu zusätzlichen Problemen und Belastungen für die Betroffenen führen können. Wenn Therapeuten bzw. Therapeutinnen sexuelle Kontakte zu ihren Patientinnen oder Patienten aufnehmen, so ist das kein Zeichen von Liebe, sondern eine Form des Missbrauchs und der Ausbeutung, die der Therapeut oder die Therapeutin im Allgemeinen wissentlich und in vollem Bewusstsein der negativen Folgen für die Personen, die er/sie zu beraten oder zu heilen vorgibt, vornimmt.


Kann es Ausnahmen geben?

Nein
Sexuelle Beziehungen zwischen Therapeuten bzw. Therapeutin und Patientinnen bzw. Patienten sind niemals fachgerecht.



Die Folgen von sexuellen Übergriffen in Psychotherapie, psychiatrischer und psychologischer Beratung


Da in der Mehrzahl aller Fälle Frauen von männlichen Therapeuten sexuell missbraucht werden, sprechen wir im Folgenden von den Therapeuten und der Patientin. Die Aussagen gelten jedoch für alle anderen Konstellationen genauso.

Intime Kontakte mit einer Patientin aufzunehmen stellt einen schwerwiegenden Bruch des Vertrauens dar, das die seelisch Leidende in den Therapeuten gesetzt hat. Er hat sich ihr angeboten als ein Mensch, der sich ausschließlich an ihrem Wunsch nach Heilung orientiert und dem sie sich vorbehaltlos anvertrauen kann. Dieses Vertrauen wird gebrochen, wenn der Therapeut seine persönlichen Bedürfnisse in den Vordergrund stellt. Selbst wenn die Patientin sich ebenfalls ein persönliches Verhältnis zum Therapeuten gewünscht haben mag, liegt es nicht im Interesse der Therapie, dieses zu verwirklichen, sondern es zu verstehen.

Es dauert meist sehr lange, bis Patientinnen, die Opfer eines sexuellen Übergriffs in der Therapie wurden, den Mut haben, über das intime Verhältnis zum Therapeuten zu sprechen. Sie fürchten, von ihren Mitmenschen nicht verstanden zu werden, von ihnen die Verantwortung oder gar die Schuld für das Geschehen zugeschoben zu bekommen. Sie befürchten auch, dass keiner versteht, wie sehr sie unter dem erfahrenen Vertrauensbruch leiden.

Tatsächlich sind die Folgeschäden dieser seelischen Verletzung schlimmer, als viele es sich vorstellen können. Die Beschwerden, derentwegen die Behandlung aufgenommen wurde, können sich verstärken und zusätzlich kommen neue hinzu.

Die häufigsten Folgeschäden sind:

  • heftige Ängste und Angstzustände
  • Niedergeschlagenheit und Traurigkeit
  • psychosomatische Erkrankungen
  • Selbstzweifel und Selbstanklagen
  • Misstrauen gegenüber anderen und sich selbst
  • Selbstmordfantasien und Selbstmordimpulse
  • Beziehungsstörungen

Diese Schädigungen entwickeln sich schleichend und werden oft erst später als Folgen des Therapiemissbrauchs erkannt. Sie können so schlimm werden, dass die Betroffenen nicht mehr arbeiten können und Behandlungen im Krankenhaus notwendig werden.



Worauf sollten Sie achten, wenn Sie eine Psychotherapie beginnen?


Erkundigen Sie sich nach der Therapieeinrichtung und was diese beinhaltet, z. B. Gespräche, freie Einfälle, praktische Übungen, Entspannungsverfahren, ob sie im Sitzen oder im Liegen stattfindet. Lassen Sie sich erklären, was Sie nicht verstehen. Sie haben ein Recht darauf, über die angewandten Methoden informiert zu werden. Sollten körperliche Berührungen einbezogen werden, so dürfen diese niemals erotisch-sexuellen Charakter haben. Es ist allerdings möglich, dass während des Therapieprozesses vonseiten der Patienten/-innen intensive Gefühle, wie Verliebtheit, Liebesgefühle, erotisch-sexuelle Anziehung erlebt werden. Diese dürfen jedoch niemals zu persönlichen sexuellen Kontakten führen.

Hinsichtlich der Sitzungsdauer, der Häufigkeit und des Ortes der Sitzungen, voraussichtlicher Behandlungsdauer und Bezahlung müssen klare Absprachen getroffen und eingehalten werden. Abweichungen davon müssen von den Therapeuten/-innen begründet werden. In Zweifelsfällen erkundigen Sie sich bei

  • öffentlichen Beratungseinrichtungen (Wohlfahrtsverbände, Städte, Landkreise, Kirchen)
  • psychotherapeutischen und psychiatrischen Ambulanzen (Kliniken, Gesundheitsämter)
  • den zuständigen Berufs- oder Therapieverbänden oder Ärztekammern
  • Ihrer Krankenkasse