Besondere traumatische Situationen und typische Folgen


Hier gehen wir auf unterschiedliche traumatische Ereignisse ein, die Menschen begegnen können. Welche typischen Folgen haben sie? Was kann man dagegen tun? Vielleicht sind Informationen dabei über die traumatische Erfahrung, von der Sie persönlich betroffen sind. Falls es Sie nicht betrifft, überspringen Sie einfach den betreffenden Punkt. Konzentrieren Sie sich bitte ausschließlich auf Informationen, die unmittelbar für Sie selbst oder für Ihre Bekannten von Bedeutung sind. Lesen Sie den Text quer. Wenn Sie selbst betroffen sind, müssen Sie sich nicht mit dem Leid anderer Menschen noch zusätzlich belasten, jedenfalls nicht, so lange Ihre eigene gefühlsmäßige Verwirrung und Erschütterung anhält.

Absichtsvoll hervorgerufene Schäden

Verletzungen, die von Menschen absichtsvoll hervorgerufen werden, erschüttern unser Selbst- und Weltverständnis wohl am stärksten. Im Extrem gehört dazu die Folter, die trotz Ächtung durch die Vereinten Nationen auch heute noch in 91 Ländern angewandt wird. Das sind 50% der Länder der Welt. Aber auch Gewaltverbrechen aus persönlichen oder „politischen" Motiven erschüttern unser Bild, das wir von unseren Mitmenschen haben. Wenn wir selbst davon betroffen sind, stehen wir meist fassungslos einem solchen Geschehen gegenüber.

Viele Opfer bemühen sich, den Täter zu „verstehen" und hoffen, dass er in die Folgen seiner Tat Einsicht entwickelt. Nicht so deutlich sichtbar wie bei der Folter, aber ebenfalls sehr wirksam, können Mobbing-Täter Verwirrung und Schäden bei ihren Opfern hervorrufen. Unter Mobbing verstehen wir in erster Linie „Psychoterror am Arbeitsplatz", aber auch die Verfolgung von rassischen und anderen Minderheiten gehört hierher. Der Ausdruck kommt von Mob, was soviel bedeutet wie Pöbel. Mobben heißt dann, jemanden anpöbeln. Manche Mitarbeiter in der Arbeitswelt scheinen sich darauf spezialisiert zu haben, Intrigen zu spinnen und Kollegen oder auch Vorgesetzte und Untergebene zu „mobben". Wie auch immer ein solches Verhalten, seinen Mitmenschen absichtlich und systematisch Schaden zuzufügen, beim einzelnen Täter zu erklären sein mag, wichtig ist die Reaktion der menschlichen Gemeinschaft darauf. Werden ein Betrieb, ein Staat oder auch eine überstaatliche Organisation mehrheitlich von seelisch gesunden Menschen bestimmt, so wenden sich diese Einrichtungen wirksam gegen den Terror, den Täter oder Tätergruppen gegen einzelne Personen oder wehrlose Minderheiten verüben. In einem gesunden Staat sind das Recht und die Gefühle der Bevölkerung auf Seiten der Opfer.

Werden soziale Einrichtungen mehrheitlich von seelisch kranken Personen bestimmt, dann kehren sich die Verhältnisse um. Diktatoren, Massenmörder und Folterer haben dann das Recht auf ihrer Seite. Ihr Terror wird nicht nur als notwendig, sondern als Wohltat, sogar für die Opfer, hingestellt. Und die Opfer werden beschuldigt, die eigentlichen Täter zu sein. Solange solche Verhältnisse bestehen oder im nachhinein gerechtfertigt werden, ist Trauma die Normalität. Dann kann es für einzelne Betroffene fast unerträglich schwierig werden, ihr persönliches Trauma zu verarbeiten. Die seelischen Wunden können dann nicht verheilen, die Gewalt wird weitergegeben, oft über Generationen hinweg.

Unfälle und Naturkatastrophen

Katastrophen, Unfällen und Erkrankungen liegt keine böse menschliche Absicht zu Grunde. Es handelt sich um Schicksalsschläge, um die Auswirkung „höherer Gewalt" oder um „menschliches Versagen". Hier werden wir nicht so sehr in Zweifel gestürzt an der Vertrauenswürdigkeit unserer Mitmenschen. Erschüttert hingegen wird der Glaube an die Sicherheit unserer Umwelt und die Beherrschbarkeit der Technik. Dennoch haben die einzelnen Betroffenen an ihrem Leid persönlich oft ebenso schwer zu tragen, wie die Opfer von Gewalt und von absichtlich hervorgerufenen Schäden.

Wie wirkt sich eine bestimmte traumatische Erfahrung aus und welche Folgen treten typischerweise in Erscheinung? Diese Frage eröffnet ein „weites Feld", und die Forschung in Köln, an anderen Orten in Deutschland und auch weltweit ist eben erst dabei, den Zusammenhang zwischen speziellen traumatischen Situationen und ihren typischen Kurz- und Langzeitfolgen zu untersuchen. Wir geben im folgenden einen Überblick über einige der häufigsten traumatischen Erfahrungen und ihre Folgen.

Negative Intimität

Hier wurde bei einem Verbrechen die Intimgrenze des Opfers überschritten. Beispiele sind Vergewaltigung, sexueller Kindesmissbrauch, sexuelle Folter, sexueller Missbrauch in Psychotherapie und Psychiatrie. Bei den Opfern ruft dies ein Gefühl des Ekels und der Beschmutzung hervor. Der Ekel geht oft mit dem Drang einher, sich übergeben zu müssen.

Verlust und Trauer

Wenn nahe Angehörige oder geliebte Personen durch Tod verloren werden, ist heftige, lang anhaltende Trauer zu erwarten. Tritt der Tod plötzlich ein, steht am Anfang Starre und Fassungslosigkeit. Jetzt folgt eine Phase der Verleugnung, wir wollen den Verlust nicht wahrhaben. Oder wir klammern uns an jede, noch so unwahrscheinliche Hoffnung, dass sich die schlimme Nachricht oder Befürchtung doch nicht bestätigen möge. Dringt dann die Realität des Verlustes ein, so werden wir von einer Welle des Schmerzes ergriffen. Viele sind äußerst verzweifelt, manche erleben auch Wut auf den Toten, weil er uns verlassen hat. Solche mehr „irrationalen" Gefühle können sich einige Betroffene persönlich schwer zugestehen. Sie widersprechen unserer Vernunft, sind aber völlig normal, da sich unsere Gefühle bekanntlich nicht nach der Logik richten. Über die Toten nur Gutes! Auch dieser Satz entspricht nicht immer unseren Gefühlen. Denn mit der Wut über unsere eigene „Verlassenheit" können auch Vorwürfe gegen den Toten in uns auftauchen wegen allem, was er im Leben vielleicht versäumt haben mag.

Nicht-Wahrhaben-Wollen und Trauerschmerz wechseln einander ab wie Wellen, die kommen und gehen. Oft gibt erst der Anblick des Toten die letzte Gewissheit, dass er wirklich von uns gegangen ist. Wenn die Leiche nicht entstellt ist, ist der direkte Anblick im allgemeinen hilfreich, um uns verabschieden zu können und diesen Abschied auch wirklich, auf einer gewissermaßen körperlichen Ebene, zu verstehen. Die Trauer kann lange anhalten, und wir sollten uns und anderen einen angemessenen Zeitraum zugestehen. Das „Witwen-Jahr", das in manchen, meist ländlichen Regionen noch üblich ist, gibt eine Vorstellung davon, wie lange es dauern kann, bis wir den Tod einer nahestehenden, geliebten Personen wirklich verschmerzt haben.

Verlust und „Beraubung"

Weiter kompliziert werden kann Trauer, wenn wir den Tod sehr nahestehender Personen erleben, als sei ein Stück von uns selbst dabei verloren gegangen, wie in dem Soldatenlied „Ich hatt' einen Kameraden". Dort heißt es:
„Eine Kugel kam geflogen, galt sie mir oder galt sie dir? Sie hat ihn weggerissen, er liegt vor meinen Füssen, als wär's ein Stück von mir."

Der Verlust des Anderen verbindet sich mit einem „Selbst-Verlust". Ein Teil von uns ist mit gestorben. Dieser Teil kann wieder lebendig werden. Wir müssen uns unser Selbstgefühl und Selbstbewusstsein, oft mühsam, gleichsam aus dem „Totenreich" wieder zurückholen. Dann strömt die Energie zu uns zurück, und wir können uns wieder wertvoll und lebendig fühlen. Der Wendepunkt, die neuen Wege nach dem Trauma treten ein, wenn innerlich die Trennung von der geliebten Person vollzogen wird. Dann finden wir unsere eigenen Kräfte wieder und können trauern um das, was wir unwiederbringlich verloren haben.

Victimisierung (von victim = Opfer)

Hier fühlt sich das Opfer als Verlierer, beleidigt, erniedrigt und herabgesetzt. Auch die Öffentlichkeit spricht oft nur vom Täter, manchmal wie von einem Helden. Das Opfer wird wie ein Verlierer betrachtet. Hier ist wichtig, sich deutlich zu machen, dass Opfer nicht Verlierer sind. Seine Menschenwürde hat der Täter geschändet, nicht das Opfer.

Angst und Erregung

Diese Traumafolge kommt sehr häufig vor und wurde schon beim psychotraumatischen Belastungssyndrom besprochen. Hören Sie auf die Ängste, die Ihr Körper zum Ausdruck bringt. Versuchen Sie die Wachsamkeitsübung (Kapitel 2.4.2). Viele Betroffene können sich danach besser beruhigen. Dann gehen oft auch die Übungen zur Distanzierung und Beruhigung leichter von der Hand.

Todesnähe

Die Erfahrung von Todesnähe führt uns das Lebensende unmittelbar vor Augen. Auch wenn die Lebensgefahr vorüber ist, besteht oft die Befürchtung, manchmal sogar die Gewissheit fort, das Leben könne augenblicklich enden. Es ist, als ob die „Ozonschicht" unserer Schutzillusionen verloren wäre. Nehmen Sie diese „irrationale" Angst ernst. Gehen Sie die Wahrscheinlichkeit durch, dass weiterhin Lebensgefahr besteht. Beobachten Sie die einzelnen Situationen, die Ihnen besonders bedrohlich erscheinen. Manchen Personen hilft es, die Wachsamkeitsübung (Kapitel 2.4.2) auf lebensbedrohliche Situationen auszudehnen. Oft tritt, wenn die Ängste und beängstigenden Situationen aufgelistet und überprüft wurden, Beruhigung und Erholung ein. Eine kreative Lösung, zu der manche Opfer oder Patienten mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelangen, ist eine Neubewertung der Zeit. Die verbleibenden Minuten, Stunden und Tage können um so wertvoller empfunden werden, gerade weil sie „gezählt" sind.

Mobbing - Psychoterror am Arbeitsplatz

Die Forschung zu diesem Thema hat keine „typische Persönlichkeit" ergeben, die andere zum Mobbing reizt. Vielmehr kann jeder betroffen sein. Der eine, weil er den Neid der Kollegen auf sich zieht oder jemandem „im Weg steht", der andere wegen irgendwelcher negativer oder auch positiver persönlicher Eigenheiten. Mobbing wirkt gesundheitsschädlich, wenn die feindseligen Attacken länger als ein halbes Jahr fortgesetzt werden. Dann können Schlafstörungen entstehen, Depressionen, Reizbarkeit und Wutausbrüche, Konzentrationsschwierigkeiten, Kopf-, Rücken- und Nackenschmerzen. Nicht selten stehen Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung am Ende der Mobbing-Attacken. Mobbing verursacht jährlich einen wirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe.

Während in Schweden die Problematik seit langem ernst genommen und auch schon frühzeitig erforscht wurde, bildet sich in Deutschland erst allmählich ein angemessenes Problembewusstsein heraus. Vergleicht man die typischen Folgen zwischen verschiedenen europäischen Ländern, so leiden die Opfer in Deutschland am stärksten unter Depressionen, möglicherweise deshalb, weil sie sich in besonderem Masse allein gelassen fühlen. Betriebsleitung, Personalrat oder besondere Beauftragte sollten regulierend eingreifen, das Opfer schützen und den oder die Täter unter Kontrolle bringen. Betroffenen hilft es oft, wenn sie sich in einer Selbsthilfegruppe über ihre Erfahrung austauschen können. In Betrieben oder größeren Einrichtungen können Gesundheits- und Qualitätszirkel gebildet werden. Dies ist ein Kreis von Mitarbeitern aus verschiedenen Ebenen des Betriebs, der sich systematisch mit Konflikten befasst und Maß@nahmen ergreift, um das Betriebsklima zu verbessern. Trennung der Arbeitsbereiche von Tätern und Opfern ist eine wichtige Maßnahme und hilft den Opfern, in unbelastete Arbeitsverhältnisse zurückzukehren. Auch Vorgesetzte können Opfer von Mobbing werden. In der Bevölkerung ist eine Bewußtseinsänderung nötig. Allzu oft findet man noch die Haltung, sich in „private Auseinandersetzungen" möglichst nicht einmischen zu wollen. Oft wird das Opfer für „aggressiv" erklärt, wenn es sich gegen die Übergriffe wehrt. Mobbing-Situationen sind für die Opfer meist eine Zwickmühle. Wehren sie sich, wird dies gegen Sie ausgelegt, wehren sie sich nicht, geht der Terror weiter. Daher sollten rechtzeitig dritte Instanzen in den Konflikt einbezogen werden oder sich ihrerseits einschalten.

Politische Verfolgung und Gewalt

Verfolgt zu werden wegen einer politischen oder weltanschaulichen Überzeugung, ethnischen Zugehörigkeit oder gar wegen Hautfarbe und „Rasse"-Merkmalen ist weltweit einer der häufigsten Anlässe für schwere und schwerste psychische Traumatisierung. Diese steigert sich ins Extrem, wenn Folter hinzukommt, wie in ca. 50% der Länder in der heutigen Welt. Die zivilisierten und demokratischen Länder haben heute die Folter abgeschafft und geächtet. Sie bieten politisch Verfolgten Asyl. Dies erfordert einen besonderen Rahmen, falls psychische Traumatisierung vorliegt. Wenn ein psychotraumatologisch vorgebildeter Gutachter die Traumatisierung und ihre Folgen bestätigt, sollte den Betroffenen ein längeres Aufenthaltsrecht im Asylland eingeräumt werden. Seelische Verletzungen können nicht heilen unter der Drohung, wieder in ein Land „abgeschoben" zu werden, in dem erneute Verfolgung und eventuell sogar Folter warten.

Das Trauma der Helfer

Polizisten, Mitarbeiter von Rettungsdiensten, Soldaten in humanitären Einsätzen, Ärzte und Pflegepersonal auf einer Intensivstation haben ein erhöhtes Risiko für Erschöpfungszustände, die sich aus Stress und Trauma ergeben. Mit der Zeit kann ein sogenanntes „burn-out-Syndrom" entstehen, wörtlich übersetzt: „Ausgebranntsein" durch die berufsbedingte Belastung. Die einen treten die „Flucht nach vorne an" und melden sich zu immer härteren Einsätzen. Andere stumpfen gefühlsmäßig ab oder helfen mit Medikamenten oder Alkohol nach, um die belastenden Erinnerungen loszuwerden. Bekannt ist auch die hohe Scheidungsrate von Polizisten in psychisch belastenden Einsatzbereichen. Die Krise in der Partnerschaft entsteht nicht nur aus der zeitlichen Belastung, sondern auch aus der Schwierigkeit, die schlimmen Erlebnisse noch nach Dienstschluss verarbeiten zu müssen. Der Partner oder die Partnerin nehmen in diesem Sinne an den Einsätzen teil und tragen die seelischen Lasten mit. Im Krimi lautet die klassische Frage: „Bist du nun mit deinem Beruf verheiratet oder mit mir?" Der Kommissar fühlt sich aufgerieben zwischen den Ansprüchen seiner Partnerin und dem Beruf. Konflikte mit Vorgesetzten oder mit den Kollegen kommen oft noch hinzu. Haben wir im Beruf Aufgaben zu bewältigen, die gar nicht zu leisten sind, überschatten die beruflichen Spannungen meist noch das private Leben.

Die Antwort heißt: Erwarten Sie von sich keine unmöglichen Leistungen. Lernen Sie, mit der Unvollkommenheit zu leben. Im Rettungseinsatz oder auf der Intensivstation stirbt der Patient; Hilfe in Spannungsgebieten ist nur unvollkommen möglich; der Täter triumphiert. Solche Misserfolge sind oft schwerer zu ertragen als die härtesten Einsätze. Ebenso wie Katastrophenopfer leiden auch Traumahelfer unter Schuldgefühlen. Lernen Sie mit der Unvollkommenheit zu leben. Oft liegt auch hier das veränderte Zeiterleben vielen Vorwürfen zugrunde, die wir an uns selber richten (vergleichen Sie dazu Kapitel 1.1.1 dem Selbsthilfebuch Neue Wege aus dem Trauma. Beziehen Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin in die Lektüre der Informationsschrift ein. Vergessen Sie nicht, die Zeit für Ihr gemeinsames Gespräch über belastende Ereignisse zu begrenzen. Dann kann das Gespräch entlastend und klärend wirken. Die traditionelle Vereinbarung, zu Hause niemals über berufliche Probleme zu reden, funktioniert nicht. Wenn wir nicht über sie sprechen können, schlagen belastende Erlebnisse umso nachhaltiger auf unsere Stimmung durch, und davon sind auch unsere Partner betroffen.